Works
Installation I Licht I Sound I Skulptur
https://mymonsterismyhome.nadinekarl.com/
Begleitende Website von Jannes Becherer
Design Flyer I Plakate von Ronja Greiner
Fotografie: JMR
MY MONSTER IS MY HOME
Rhythmisch wiederholt sich der Wechsel von Tag und Nacht, ähnlich den Zyklen des Lebens, die in Schleifen unaufhörlich wiederkehren. Der Tag bricht an, wenn sich Sonne und Mond gleichzeitig am Himmel gegenüberstehen. Dann erlischt das fahle Mondlicht, strahlt allein die Sonne, verändert ihre Intensität von der Morgen- bis zur Abenddämmerung. Vogelzwitschern, Ziegengemecker, Meeresrauschen erzeugen eine idyllisch anmutende Atmosphäre im Kellergewölbe des LIVE LAB STUDIOS. Das Licht lässt dabei nicht nur die Fliesen an den Wänden erstrahlen, sondern spiegelt sich auch auf den Gesichtern und Körpern der aus Keramik gefertigten Katzen. Gleich sieben an der Zahl sind zum Rudel gruppiert ins Basement eingezogen. Sie scheinen den im Raum verteilten schwarzen und weißen Kratzbäumen zugehörig und sich nur vorübergehend auf Erkundungstour begeben zu haben. Sobald aber die Sonne dem Mond weicht und Grillen zirpen, erklingen Stimmen aus dem Inneren der Kratzbäume. Stimmen, die mal einzeln zu vernehmen sind, sich dann überlagern und zum Stimmengewirr anschwellen. Wer spricht, sobald die Nacht anbricht?
Die Kinderspielzeugen nachempfundenen Katzen repräsentieren Menschen und ihre individuellen Lebensgeschichten. Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten, an welche Künstlerin Nadine Karl jeweils die gleichen Fragen richtete. Ganz so als würden diese auf den Hüpftieren Platz nehmen, nur dass die Katzen als Stellvertreter leer bleiben. Sobald aber das Licht weicht, werden in simulierter nächtlicher Dunkelheit ihre Sehnsüchte, Ängste und Wünsche laut. Denn bei Anbruch der Nacht lassen die Katzen tief in die Gedanken u.a. eines Geflüchteten, eines ehemaligen Gefängnisinsassen, einer Schönheitschirurgin oder eines Unternehmers blicken. Von Sprecher*innen nachvertont erzählen die ausgewählten Persönlichkeiten von ihrer Profession, von ihrem Alltag, von ihrer Lebensgeschichte. Unter dem Schutzschirm der Anonymität offenbaren sie Gedanken, die sie vielleicht sonst nicht einmal vor sich selbst zugeben würden. Eine der Stimmen bekennt: „Ich kann meine Ängste nur schwer überwinden”. Eine andere Person räumt ein, dass sie sehr an Eitelkeit hänge und selbst gern dieses eine strahlende Licht wäre. Viele Menschen kennen wohl dieses Gefühl, wenn eine der Stimmen sagt: „Vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, aber ich habe schon immer die Sehnsucht etwas Besonderes zu sein“. Es sind Gedanken, die in den Kellerräumen des eigenen Ichs ein Zuhause haben, unter der Oberfläche schwären und allein in manch tiefergehenden Gesprächen aufblitzen.
„MY MONSTER IS MY HOME“ betont Gemeinsamkeiten von neun Akteur*innen, die scheinbar nichts gemeinsam haben. Die befragten Personen sehnen sich nach Partnerschaft, Freundschaft, Familie. Sie wären gern freier, möchten gesehen und verstanden werden, innere Balance finden. Ob viel oder wenig Besitz vorhanden ist, ändert nichts an der Bedeutung menschlicher Zuneigung. Nur noch einmal mit verstorbenen, geliebten Menschen sprechen und all die ungestellten Fragen an die Personen richten, welche sie nie mehr beantworten können. Die Befragten möchten reisen, die Welt sehen, sie möchten Sein, ohne sich von der Meinung Anderer beeinflussen zu lassen. „Als Kind hatte ich nur ein Ziel: Jeden Tag ein Abenteuer erleben“ – haben wir nicht alle so empfunden? Immerzu aber nagen Zweifel, eigene Unsicherheiten, Ängste an den inneren Grundfesten. Die Angst vor dem Rückfall, vor falschen Entscheidungen, vor dem Urteil der Anderen. Manchmal erwische er sich immer noch dabei, wie er sich in Tagträumen über das Leben anderer Menschen verliere, lässt eine der Stimmen verlauten.
Einige haben ein geringes Arbeitspensum, sind anerkannt, verdienen eine Menge Geld. Andere haben Krieg erlebt, waren inhaftiert oder sind schwer erkrankt. Was aber macht wirklich frei? Finanzielle Unabhängigkeit, ein sinnstiftender Beruf, eine liebevolle Partnerschaft? Vielleicht liegt das Glück im Zauber der kleinen Dinge. Ein Lächeln, ein nettes Gespräch, eine warme Dusche. Und was sagt es aus, dass die geflüchtete Person weder Wünsche noch Sehnsüchte äußert? „Meine tiefste Sehnsucht, ich weiß es nicht, vielleicht habe ich gar keine“. Nadine Karl traf Menschen, die verschiedener kaum sein könnten und sich doch in Sehnsüchten, Ängsten und Wünschen angleichen. So wie Katzen, die bei Tag bunte Fellgewänder tragen und nachts allesamt die gleiche Farbe haben. Die Künstlerin spielt dabei mit Ambivalenzen, wenn die Cuteness der Katzen auf kalte Kellerräume trifft, warmes Licht sich in den glatten Fliesen spiegelt und unter der Erde im Schutz der Dunkelheit der Blick in die Tiefen der menschlichen Seele fällt.
Wer möchte, kann die Katzen zusätzlich digital von allen Seiten betrachten und sich sogar ein Exemplar sichern. Dazu lassen sich auch online alle Monologe einzeln nachhören. Vor Ort im LIVE LAB STUDIO werden sie in zwei Sessions am ersten und zweiten Septemberwochenende im 60-minütigen Rhythmus durchgehend abgespielt. So lohnt sich ein zweiter Besuch gleich doppelt. Denn alle Einblicke in diese fremden Leben fühlen sich seltsam nah an, intim, fast schon verboten. Auch wenn wir nicht alles nachvollziehen können, uns nicht in allem wiederfinden, zeigt sich deutlich, dass die Schönheit des Menschseins ein Zusammenspiel von Stärken und Schwächen bildet. Womöglich ein Anstoß, Menschen grundsätzlich wohlwollender zu begegnen. „Meine Sehnsucht ist vielleicht ein sehnsuchtsvoller Mensch zu bleiben“ – einer von vielen Sätzen, die auch nach dem Verlassen der Ausstellung noch lange Zeit nachklingen. Bereit, eine Heimat in den eigenen Abgründen zu finden?
Text von Julia Stellmann
Installation I Light I Sound I Sculpture
https://mymonsterismyhome.nadinekarl.com/
Accompanying Website by Jannes Becherer
Design Flyer I Posters by Ronja Greiner
Photography: JMR
MY MONSTER IS MY HOME
Rhythmically, the change of day and night repeats itself, similar to the cycles of life, which return continuously in loops. Day breaks when the sun and the moon face each other in the sky at the same time. Then the pale moonlight goes out, the sun alone shines, changing its intensity from dawn to dusk. The chirping of birds, the bleating of goats, the sound of the sea create an idyllic atmosphere in the vaulted cellar of the LIVE LAB STUDIOS. The light not only illuminates the tiles on the walls, but is also reflected on the faces and bodies of the ceramic cats. No fewer than seven of them have moved into the basement, gathered in a group. They seem to belong to the black and white trees scattered around the room and have only temporarily set out on an exploratory trip. But as soon as the sun gives way to the moon and crickets chirp, voices resound from inside the scratching trees. Voices that are sometimes heard individually, then overlap and swell to a babble of voices. Who speaks as soon as night falls?
The cats, modeled on children's toys, represent people and their individual life stories. People from the most diverse social classes, to whom artist Nadine Karl asked the same questions in each case. It is as if they were sitting on the bouncing animals, except that the cats remain empty as representatives. As soon as the light fades, however, their longings, fears and desires become loud in simulated nocturnal darkness. For at nightfall, the cats allow us to look deep into the thoughts of a refugee, a former prison inmate, a plastic surgeon, and an entrepreneur, among others. The selected personalities talk about their profession, their everyday routine, and their life story, recorded by speakers. Under the protective shield of anonymity, they reveal thoughts that they might otherwise not even admit to themselves. One of the voices confesses, "I have a hard time overcoming my fears." Another person admits that they are very attached to vanity and would like to be that one shining light themselves. Many people probably know this feeling when one of the voices says, "Maybe a little unusual, but I've always had a desire to be special." These are thoughts that have a home in the basement rooms of one's own self, fester beneath the surface and flash up alone in many deeper conversations.
"MY MONSTER IS MY HOME" emphasizes the commonalities of nine characters who seem to have nothing in common. The interviewees long for partnership, friendship, family. They would like to be freer, to be seen and understood, to find inner balance. Whether there are many or few possessions does not change the importance of human affection. Just to talk once again with deceased loved ones and ask all the unasked questions to the people they can never answer again. The interviewees want to travel, to see the world, they want to be without being influenced by the opinion of others. "As a child I had only one goal: to experience an adventure every day" - haven't we all felt that way? But doubts, our own insecurities, fears are always gnawing away at our inner foundations. The fear of relapse, of wrong decisions, of the judgment of others. Sometimes one of the voices says that one still catches oneself daydreaming about other people's lives.
Some have a small workload, are recognized, earn a lot of money. Others have experienced war, were imprisoned or are seriously ill. But what really makes people free? Financial independence, a meaningful job, a loving partnership? Perhaps happiness lies in the magic of small things. A smile, a nice conversation, a warm shower. And what does it say that the person who has become a refugee expresses neither wishes nor desires? "My deepest desire, I don't know, maybe I don't have any". Nadine Karl met people who could hardly be more different and yet are alike in longings, fears and desires. Like cats who wear colorful fur robes by day and are all the same color by night. The artist plays with ambivalences, when the cuteness of the cats meets cold basement rooms, warm light is reflected in the smooth tiles and under the earth in the protection of darkness the view falls into the depths of the human soul.
Those who wish can also view the cats digitally from all sides and even secure a copy. All the monologues can also be listened to individually online. On site at LIVE LAB STUDIOS, they will be played in two sessions on the first and second weekends of September at 60-minute intervals. So a second visit is doubly worthwhile. Because all the glimpses into these extraneous lives feel strangely close, intimate, almost forbidden. Even if we can't understand everything, can't find ourselves in everything, it clearly shows that the beauty of being human is an interplay of strengths and weaknesses. Possibly an impetus to encounter people in a fundamentally more benevolent way. "My longing is perhaps to remain a longing human being" - one of many sentences that resonate long after leaving the exhibition. Ready to find a home in your own abysses?
Text by Julia Stellmann
Translated by Nadine Karl